Ataxie bei Katzen
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Ataxie bei Katzen

Fröhlich maunzend torkelt die kleine, magere Katze auf mich zu. Plumps, nun ist sie umgefallen. Aber macht nichts, die kleine Katze rappelt sich auf, kräht mich begeistert an, rammt mir ihr schiefes, einäugiges Köpfchen gegen das Knie, weil sie meine ausgestreckte Hand verfehlt hat. Und nun beginnt ein erbarmungsloses Kampfkuscheln.

Eindeutig besoffen, die Kleine, sage ich mir, und nehme ihre Einladung an. „Ach, die ist unter den Trekker gekommen,“ klärt mich der Bauer beiläufig auf. Wie man sieht, hat die kleine Katze überlebt. Die Wunden sind verheilt, die zahlreichen Knochenbrüche ebenfalls, das abgewetzte Fell beginnt langsam wieder nachzuwachsen und ihre Lebensfreude ist ungetrübt.

Aber es sind bleibende Schäden geblieben. Das schiefe Gesichtchen und das fehlende Auge lassen auch auf eine Schädigung des Gehirns schließen und zweifellos ist das Rückenmark durch den Unfall ebenfalls beeinträchtigt. Schäden am zentralen Nervensystem, also am Gehirn oder dem Rückenmark können zu Koordinationsstörungen, zu Störungen der Bewegungsabläufe führen. Diese Bewegungsstörungen ganz unterschiedlicher Ausprägung werden unter dem Sammelbegriff Ataxie zusammengefasst. Ataxie ist also keine Krankheit, sondern die Bezeichnung von Symptomen mit recht unterschiedlichen Ursachen. Also ist die Kleine Katze nicht besoffen, sondern leidet an . . . nein, sie leidet ganz offensichtlich nicht, sie hat Ataxie.

Ursachen

Schäden am Zentralen Nervensystem (ZNS) können durch unterschiedliche Ursachen entstehen. Unfälle, wie bei der kleinen Wackelkatze sind eine, Misshandlungen –leider gar nicht so selten- eine andere.

Unfälle oder Misshandlungen können natürlich alle Tiere erleiden und damit auch Ataxien ausbilden. Katzenspezifisch ist allerdings die sogenannte feline Ataxie, verursacht durch ZNS-Schäden infolge einer Infektion mit dem felinen Parvovirus (FPV). FPV ist der Erreger der sogenannten Katzenseuche, einer Krankheit, die vor allem bei Jungkatzen zwischen zwei und sechs Monaten die stärksten Symptome zeigt und eine hohe Sterberate aufweist. Kitten, die im Mutterleib mit FPV infiziert werden, können, wenn sie nicht daran sterben, neben anderen Krankheiten, durch Schädigungen vor allem am Kleinhirn Ataxien ausbilden. Dies wird meist erst bemerkt, wenn die Kleinen nach ca. 2 – 3 Wochen zu laufen beginnen.

Die Diagnose

An der Art, wie sich die „Wackelkatzen“ bewegen, kann man bereits auf den Ort der ZNS-Schädigung schließen.

Die Bewegungsmuster reichen von Augen- und Kopfzittern über Schiefhaltung des Kopfes, abnormen, breitem oder steifem, tapsigen, torkeligem Gang bis hin zu Lähmungen der Vor- oder Nachhand oder weit nach vorne greifende übermäßig gestreckte Bewegung der Vorderbeine während die Hinterbeine im Bogen nach vorne geführt werden.

Ebenso können das Fallen nach einer Seite, nach vorne oder nach hinten beobachtet werden. Und nicht zuletzt können auch Wahrnehmungsprobleme, Bewusstseinsstörungen oder eine falsche Abmessung von Zielbewegungen auftreten.

Jede ZNS-Schädigung hat ihre spezifischen Bewegungsmuster und kann daher von erfahrenen Tierärzten oder sogar Laien relativ gut lokalisiert werden. Für die Feststellung von Grad und Ursache der Schädigung stehen schließlich EEG (Gehirnstrommessung), EMG Muskelstrommessung, Röntgen, CT, Kernspintomographie und selbstverständlich die Untersuchung auf Krankheitserreger (z.B. FPV) bzw. deren Antikörper zur Verfügung.

Die Prognose

Eine ganze Reihe von Beispielen zeigen, dass –wenn keine anderen ernsten Krankheiten hinzukommen- Ataxiekatzen lange und vor allem gut leben können. Unter der Ataxie selbst leiden die Katzen bei entsprechender Haltung überhaupt nicht, sie scheinen diese Behinderung gar nicht als solche wahrzunehmen. Und in den meisten Fällen findet über die Jahre sogar eine Verbesserung der Symptome statt, wie das folgende Interview mit einer Ataxiekatzenhalterin belegt.

Anders sieht es natürlich aus, wenn die Ataxie ein Symptom ganz anderer aber seltenerer, fortschreitender Erkrankungen des zentralen Nervensystems darstellt. Dies gilt es aber im Zweifelsfall differenzialdiagnostisch zu klären. Fataler als die Ataxie ist für die Überlebensrate der Wackelkatzen immer noch die weit verbreitete Unkenntnis über dieses Syndrom. Denn oft genug werden die scheinbar „schwerbehinderten“ Katzen von ihrem vermeintlichen Leiden bereits im Kittenalter „erlöst“.

Die kleine Wackelkatze vom Bauernhof hatte Glück im Unglück. Der Bauer hatte keine Kosten und Mühen gescheut, die Kleine wieder zusammenflicken zu lassen. Und nun torkelt dieses fröhliche, völlig zerschossene Ding auf dem Bauernhof umher und strotzt nur so vor Lebensfreude.

Autor: Wolfgang Schwerdt

Vielen Dank! An Wolfgan Schwerdt, für den informativen Bericht samt Interview.


Interview mit Ataxiekatzenhalterin Julia K.

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